So lautet das deutsche Wort des Jahres 2022. Das befand eine Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden.
Das keineswegs neue Wort stand ursprünglich für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem Wort einen zweiten Sinn gegeben. Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiere eine «Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes», so Scholz.
Sonnenwende, Trendwende, Agrarwende, Energiewende. Mit Wenden kennen wir uns scheinbar aus. Ob wir uns tatsächlich an einem Wendepunkt der aktuellen Zeit befinden, wage ich zu bezweifeln. Eine Wende markiert bekanntlich eine einschneidende Veränderung gegenüber dem bisherigen Verlauf, besonders im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess. Der Einmarsch der Russen in der Ukraine hat für die Betroffenen sicherlich keinen Stein auf dem anderen gelassen, ganz wörtlich. Doch was ist mit uns Zuschauenden oder indirekt Betroffenen? Was ist mit all jenen, die den Ukraine-Krieg nur aus den Nachrichten kennen? Wie grundlegend hat sich unser Leben in den letzten zwölf Monaten wirklich verändert?
Corona ist Geschichte, die Energiekrise vielleicht doch nicht so gravierend, die Lieferengpässe lösen sich nach und nach auf, die Dieselpreise sinken wieder, die Inflation tangiert uns in einigen Bereichen nur marginal – Preisstürze im Detailhandel sei dank. Schon klar: Heizöl, Holzpellets, Kunstdünger, Kraftfutter und vieles mehr sind sehr viel teurer geworden. So haben manche entschieden, eine PV-Anlage aufs Dach zu setzen, auf Holzheizung umzustellen oder sich beim nächsten Autokauf auf die lange Warteliste der E-Modelle zu setzen. Und weiter?
Die Reisebranche boomt wie nie zu vor, seit Samstag laufen die Vorbereitungen für die anstehende Fasnet auf Hochtouren und gerade wird keine Gelegenheit ausgelassen, Korken knallen zu lassen und Bierfässer anzustechen. Wenn daraus ein kleiner Covid-Hotspot entsteht, soll es nur recht sein, denn das stärkt die Herdenimmunität. Apropos knallen: Der mehrstündigen Böller-Salve vom vergangenen Silvester nach zu schliessen, hat die Inflation noch kein Loch ins Portmonnaie des kleinen Mannes oder der kleinen Frau gerissen. Schliesslich: YOLO.
Gut, dass wir schon mal einen Begriff für eine einschneidende Veränderung gegenüber dem bisherigen Verlauf der Dinge in der Gesellschaft haben. So sind wir zumindest vorbereitet, sollte sich unser Denken und Handeln doch irgendwann verändern und eine neue Ära einläuten. Dann können wir den Wandel der Zeit zumindest beim Namen nennen.